Jahrgangsübergreifender Unterricht an kleinen Grundschulen im ländlichen RaumEin Konzept und Materialien zum Umgang mit Heterogenität

2 Themen finden und Unterricht planen

2.1 Lernziele und Lerninhalte

Bildungsstandards – Kompetenzbereiche und sächsischer Lehrplan

In den Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich sind für die Zeit bis zum Übergang in die Sekundarstufe Kompetenzen mit Teilbereichen bzw. Teilkompetenzen formuliert. Diese gilt es, vom Schuleintritt an zu aktivieren und weiterzuentwickeln. Die Schülerinnen und Schüler erweitern und vertiefen in der Grundschule kontinuierlich ihre Sprachhandlungskompetenz. Diese wird untersetzt mit den prozessbezogenen Kompetenzbereichen „Sprechen und Zuhören“, „Schreiben“, „Lesen“ und mit den domänenspezifischen Kompetenzbereichen „Sich mit Texten und anderen Medien auseinandersetzen“ und „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ als Teilbereiche der Sprachhandlungskompetenz.

Abb.: Kompetenzmodell für den Deutschunterricht1

Alle Kompetenzbereiche sind im Sinne eines integrativen Deutschunterrichts aufeinander bezogen, in komplexer Weise miteinander verzahnt und sollen in lebensnahen sprachlichen Handlungssituationen über bedeutsame Inhalte im Unterricht miteinander verknüpft werden. Methoden, Arbeitstechniken und Strategien werden abgebildet in den Konkretisierungen der einzelnen Kernbereiche. Sie spielen eine zentrale Rolle für den gesamten Deutschunterricht und werden in allen Teilbereichen der Sprachhandlungskompetenz entwickelt, vermittelt und geübt. Ziel ist es, geschriebene und gesprochene Sprache situationsangemessen, sachgemäß, partnerbezogen und zielgerichtet zu gebrauchen.

Abb.: Kompetenzbereiche und Kernbereiche nach Bildungsstandards (2022)

Dabei knüpfen die Kompetenzbereiche und die zugehörigen Kernbereiche an die Tradition bisheriger Bildungsstandards2 an und wurden weiterentwickelt.

Zudem werden in die Planung und Gestaltung des Unterrichts fünf Grundprinzipien des sprachlichen Handelns3 einbezogen: 

Aufgabe der Lehrkraft ist es, die Vernetzung und Durchdringung der Lernbereiche des Lehrplans unter Berücksichtigung der fünf Grundprinzipien zu arrangieren. Wenn also zum Beispiel Kinder ein Buch gelesen haben, möchten sie sich vielleicht über das Gelesene mit Mitschülern austauschen. Wenn Kinder eine Geschichte schreiben, ist es wichtig, diese noch einmal zu überarbeiten und dabei mit Mitschülern über das Geschriebene ins Gespräch zu kommen.

Für die Planung von Unterrichtseinheiten im jahrgangsübergreifenden Unterricht kann grundsätzlich die schematische Darstellung der Sprachhandlungskompetenz mit ihren Teilbereichen genutzt werden. Damit steht ein strukturiertes Instrument für die Planung des integrativen Deutschunterrichts für eine größere Unterrichtseinheit (zu einem bestimmten einem Thema) zur Verfügung.

So können, wie nachfolgend beispielhaft dargestellt, wesentliche Lernziele des Lehrplans der Klassenstufe 1/2 den Teilbereichen der Sprachhandlungskompetenz zugeordnet werden.

Abb. Planungsraster integrativer Deutschunterricht Klasse 1/2 (nach Weidner 2019, angepasst 2023), Teil III, Materialien Deutschunterricht, Planungsraster für den integrativen Deutschunterricht

Dabei werden die Ziele und Inhalte des Lernbereiches Richtig Schreiben über die Lernziele des Lernbereichs in den Kompetenzbereich Schreiben integriert. Richtigschreiben wird somit zu einem wesentlichen funktionalen Element des Kompetenzbereiches Schreiben. Leitender Gedanke dabei ist, dass die Schülerinnen und Schüler von Beginn an in ihren individuellen Texten erste rechtschriftliche Phänomene und Regelmäßigkeiten entdecken (siehe Kap. 1.3). Der beim Schreiben der Texte entstehende Wortschatz ist Ausgangspunkt für die Rechtschreibarbeit in der Gruppe oder für individuelle Übungsschwerpunkte. 

Für den jahrgangsübergreifenden Unterricht eröffnet diese Zugangsweise – Zuordnung von Lernzielen zu den Kompetenzbereichen – ein großes Übungsfeld, in dem sich alle Schülerinnen und Schüler zu einem Thema auf unterschiedlichen Niveaustufen Lerninhalte aneignen. Das geschieht in Übungsschleifen nach eigenem Ermessen oder auch durch gezielte Zuordnung. Dabei ist es unerheblich, welcher Klassenstufe das Kind eigentlich zuzuordnen ist, im Zentrum steht viel mehr die einzelne Schülerin bzw. der einzelne Schüler mit dem aktuellen Entwicklungsstand und den individuellen Möglichkeiten.

Lernziele und Lerninhalte

Kernstück der in diesem Material vorgestellten Unterrichtseinheiten ist das Schreiben eigener Texte – dieser Prozess wird damit zum Lerngegenstand. Ausgangspunkt dafür sind grundsätzlich Lernziele für die Klassenstufen 1/2 des Lehrplans. Dazu gehören zum Beispiel das allgemeine fachliche Ziel „Sie entwickeln eigene Schreibideen und können Texte nachvollziehbar aufschreiben.“ sowie ausgewählte Lernziele im Lernbereich Für sich und andere schreiben4:

Mit Blick auf die Kompetenzorientierung lässt sich das Ziel aus dem Lernbereich zunächst aufschlüsseln: Es geht um Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es den Kindern ermöglichen, eigene Gedanken und Vorstellungen beim Schreiben eines Textes festzuhalten. 

Für die jahrgangsübergreifende Klassengemeinschaft bedarf es nun der genauen Untersetzung mit den zu entwickelnden Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Sinne des angestrebten Lernziels. Hierbei muss der individuelle Stand an Vorwissen und Lernvoraussetzungen einbezogen werden. Leitfragen sollten deshalb dabei sein: 

Aus der Beantwortung dieser Fragen ergibt sich die Notwendigkeit, im jahrgangsübergreifenden Unterricht das Lernziel durch differenzierte Teilziele zu untersetzen. Es bietet sich also an, über eine Differenzierung im Sinne einer Spannbreite von „Minimalzielen“ bis „Maximalzielen“ nachzudenken. 

Aus dieser Überlegung heraus lassen sich Teilziele („Minimalziele“ und „Maximalziele“) für den Lerngegenstand in einer jahrgangsgemischten Lerngruppe abstecken, die im Sinne der Progression im Laufe von zwei oder mehr Schuljahren durch Lernziele des Lehrplans abgebildet werden. Dieses Vorgehen darf jedoch nicht dazu verleiten, für jede Klassenstufe der jahrgangsgemischten Klasse ein eigenes Ziel zu formulieren. Viel wichtiger ist es, sich noch einmal bewusst zu machen, dass von einer heterogenen Lerngruppe ausgegangen wird.5

Somit können zum Beispiel folgende (Teil-)Lernziele für den Lerngegenstand Schreiben eines eigenen Textes auf der Grundlage des Lehrplans formuliert werden:

Für den Fall, dass sich die Jahrgangsmischung über die ersten drei oder vier Schuljahre erstreckt, müssen die einzelnen Kompetenzbereiche unter Beachtung der Lernzielebenen erweitert werden. Diese Überlegungen gelten auch, wenn der jahrgangsübergreifende Unterricht für die Klasse 3/4 geplant wird. Dabei lassen sich für den Deutschunterricht gleiche fachliche Inhalte im Lehrplan in allen Klassenstufen auf unterschiedlichen Progressionsebenen finden und parallelisieren. Das ermöglicht es der Lehrkraft, vergleichbare gemeinsame Inhalte in den Kompetenzbereichen für die jahrgangsübergreifende Klassengemeinschaft festzulegen. Vorschläge für mögliche Parallelisierungen stehen im Anhang zur Verfügung (Teil III, Grundlagen, Deutsch: Parallelisierung Fachinhalte Lehrplan Klst. 3 und 4).

Das oben gezeigte Beispiel ist eine Variante der differenzierenden Zielsetzung für den jahrgangsübergreifenden Unterricht. Darüber hinaus werden aber, ausgehend vom Lernziel, unter Einbeziehung der individuellen Lernvoraussetzungen weitere Teilschritte notwendig, die dem Kind einen individuellen Lernweg sowohl vorgeben als auch ermöglichen.

Die Umsetzung dessen wiederum gelingt durch differenzierte Aufgabenstellungen, sodass alle Schülerinnen und Schüler am gleichen Lernziel arbeiten können. Notwendig und hilfreich ist dabei eine frühzeitig und regelmäßig eingesetzte Leistungsdifferenzierung über Aufgaben zum Lerngegenstand mit unterschiedlichen, transparenten Anforderungsniveaus. Diese Differenzierung kann die Kinder anspornen und ihnen zunehmend ein Gefühl dafür vermitteln, eigene Leistungsstände einzuschätzen. Erfahrungen zeigen, dass in der Regel drei Stufen ausreichend sind, um dem Lern- und Leistungsstand der gesamten Lerngruppe zu entsprechen: Mindest-anforderung, Grundanforderung und Maximalanforderung. Die Grundanforderung entspricht einem Lehrplanziel. Dabei gibt es Kinder, die mit Blick auf das Lernziel zunächst kleinere Lernschritte brauchen – diese können über Vereinfachungen und Hilfen in den Mindestanforderungen abgebildet werden. Kinder, deren Lernstand es ermöglicht, über die Grundanforderungen hinauszugehen, werden durch Erweiterungen und Vertiefungen in den Maximalanforderungen gefördert (Teil I, Grundlagen, Kap. 3.3).

1Bildungsstandards für das Fach Deutsch Primarbereich, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15.10.2004, i.d.F. vom 23.06.2022, S. 8, verfügbar unter: https://www.kmk.org/[…]/2022_06_23-Bista-Primarbereich-Deutsch.pdf, Stand vom 22.11.2022.
2Dem sächsischen Lehrplan liegen die Bildungsstandards von 2004 zu Grunde. Siehe: KMK (Hrsg.): Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich (Jahrgangsstufe 4), Wolters Kluwer Deutschland GmbH, München 2005, S. 7, verfügbar unter: https://www.kmk.org/[…]/2004_10_15-Bildungsstandards-Deutsch-Primar.pdf, Stand vom: 11.01.2021.
3Vgl. Bartnitzky, Horst (2020): Inklusive Didaktik – Haben wir längst! In: GS aktuell SPEZIAL, Beilage zu Heft 149, Februar 2020, S. 11-17, verfügbar unter: https://grundschulverband.de/[…]/GSa-Spezial-ESP-149-Web-Einzelseiten-interaktiv.pdf, Stand vom: 11.01.2020.
4Sächsisches Staatsministerium für Kultus (Hrsg.): Sächsischer Lehrplan Grundschule Deutsch 2019, S. 10.
5Vgl. Heißler, J.; Hiebl, P. (2016): Kompetenzorientierte Unterrichtsplanung. Carl Link Verlag.