Jahrgangsübergreifender Unterricht an kleinen Grundschulen im ländlichen RaumEin Konzept und Materialien zum Umgang mit Heterogenität

3 Öffnung und Differenzierung

Damit Unterricht in heterogenen Klassengemeinschaften erfolgreich wird, ist es erforderlich, entsprechende Gelingensbedingungen in den Fokus zu nehmen.

3.1 Öffnung des Unterrichts

Eine bedeutende Rolle kommt der Öffnung des Unterrichts zu. Die Notwendigkeit ergibt sich aus der Heterogenität der Schülerschaft. In einem geöffneten Unterricht stellen Lehrkräfte fachbezogene Lernumgebungen her, die ein umfangreiches Potenzial für Differenzierung bieten.

Um die Offenheit von Unterricht beurteilen zu können, richtet sich in der didaktischen Fachliteratur der Fokus in der Regel auf folgende fünf Dimensionen1:

Damit wird deutlich, dass eine große Bandbreite von Möglichkeiten zur Öffnung des Unterrichts besteht, die weit über das Bestimmen der Reihenfolge der Aufgabenbearbeitung oder die Wahl zwischen Einzel- und Partnerarbeit hinausgeht.

Auf der Grundlage dieser Dimensionen kann ein Raster zur Beurteilung des Grades der Öffnung von Unterricht2 abgeleitet werden. Anhand konkreter Kriterien wird hiermit der Grad der Offenheit des Unterrichts festgestellt. Dabei stellt der Grad der Offenheit kein Qualitätsmerkmal des Unterrichts dar. Vielmehr unterstützt dieses Raster als Reflexionsinstrument Lehrkräfte dabei, einen Ist-Stand zu ermitteln und diesen in einem nächsten Schritt weiterzuentwickeln. So können Möglichkeiten ausgelotet werden, die Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern zunehmend individualisiert auszurichten. 

In Anlehnung an das oben genannte Raster stehen Lehrkräften für die (Selbst-)Einschätzung der Offenheit des eigenen Unterrichts tabellarische Übersichten zur Verfügung. (Teil III, Grundlagen, Selbsteinschätzungsbögen zur Offenheit von Unterricht)

Die Lerntheke

Die Lerntheke ist eine Form des geöffneten Unterrichts und zählt zu den individualisierenden Lernformen. Im Unterschied zum Stationenlernen, zu Lernstraßen oder zum Lernzirkel werden die einzelnen Aufgaben und Materialien auf einer „Theke“ ausgelegt und bauen nicht aufeinander auf. Die Reihenfolge der Bearbeitung kann von den Schülerinnen und Schülern frei gewählt werden. Lerntheken eignen sich dazu, Kinder in der Grundschule zunehmend mit geöffneten Unterrichtsformen, insbesondere im Umgang mit individuellen Auswahlmöglichkeiten, vertraut zu machen. 

Dabei wird sie mit dem Ziel eingesetzt, den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit des Übens und Anwendens von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu einem Thema zu bieten. Die differenzierten Aufgaben werden gezielt für die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen von der Lehrkraft vorbereitet.

Bei den Aufgaben kommt es darauf an, dass sie zum Lernen herausfordern und Aufforderungscharakter besitzen. 

Auch für die Lerntheke gilt: Vom gemeinsamen Lernen profitieren alle Schülerinnen und Schüler der Klassengemeinschaft. Sie erhalten vielfältige Lernanreize. Angepasst an ihre Vorkenntnisse wiederholen, festigen und vertiefen die Schülerinnen und Schüler Gelerntes. Den Fortgeschrittenen kann es darüber hinaus ermöglicht werden, sich mit besonderen Herausforderungen zum Thema auseinanderzusetzen und neue Einsichten zu gewinnen. 

Für die Gestaltung von Lerntheken erweist es sich als förderlich, nachfolgende grundlegende Aspekte bei der Auswahl von Aufgaben und Materialien zu berücksichtigen:

Startaufgabe 

Sozial- und Kooperationsform(en) 

Kontrollmöglichkeiten 

Lehr- und Lernmittel 

Aufgabenmenge und Schwierigkeitsgrad 

Unterstützungsmaterial 

Zusatz-/Forscheraufgaben 

Leistungsermittlung und Leistungsbewertung 

In der Regel werden in der Grundschule sechs Arbeitsfelder in einer Lerntheke angeboten:

Die Nummerierung der Arbeitsfelder der Lerntheke stellt dabei keine Reihenfolge für die Bearbeitung dar. Eingesetzte Materialien und Aufgabenformate müssen bekannt sein, damit sie ein selbstständiges Arbeiten ermöglichen. Nur so kann eine Schülerin bzw. ein Schüler entscheiden, welcher Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe für sie bzw. ihn im Moment richtig ist. In diesem Zusammenhang ist die Selbsteinschätzung des eigenen Leistungsniveaus ein wirksamer Aspekt für den individuellen Lernprozess und deshalb unverzichtbar. Die Lehrkräfte haben die Aufgabe, die Arbeit der Schülerinnen und Schüler an der Lerntheke zu begleiten, Lernfortschritte zu beobachten und gegebenenfalls schriftlich zu dokumentieren. Darüber hinaus trägt die individuelle Rückmeldung zum Gelingen des Lernprozesses bei. Diese Rückmeldung kann von Feedbackfragen getragen werden: Was ist dir gut gelungen? Was kannst du schon? Was sollst du noch lernen? Was kann dein nächster Schritt sein?

Auf der organisatorischen Ebene nimmt auch beim Einsatz der Lerntheke der Freiheitsgrad zu: In der vorbereiteten Lernumgebung entscheidet das Kind weitestgehend selbst, wann es welche Aufgabe wie und mit wem bearbeiten möchte.

1Nach: Peschel, Falko: Offener Unterricht. Kleine Schritte. Verfügbar unter: https://offener-unterricht.net/ou/start-offu.php?action=rast1, Stand vom: 23.02.2021.
2Ebd.