Jahrgangsübergreifender Unterricht an kleinen Grundschulen im ländlichen RaumEin Konzept und Materialien zum Umgang mit Heterogenität

3.3 Aufgabenformate, Anforderungsbereiche, Operatoren 

Grundlage für die Konstruktion von Aufgaben sind die Lernziele des Lehrplans. Dabei bietet sich ein Denken „vom Ende her“ an: Was kann ein Schüler, wenn er über diese Kompetenz(en) verfügt? Nach diesen konkreten Erwartungen (Zielen) richten sich die Funktion und die Gestaltung von Aufgaben aus: 

Um der Heterogenität der Klassengemeinschaft gerecht zu werden, kommt es auf eine durchdachte Aufgabenkultur an. Kompetenzorientierung, die Formate der Aufgaben, die Anforderungsbereiche, klare Strukturen in den Aufgaben selbst und der Einsatz von Operatoren sind der Zugang zu einem differenzierenden Unterricht. Dabei ist es nicht das Ziel, jeder Schülerin und jedem Schüler eine gesonderte, eigens für sie oder ihn erstellte Aufgabe anzubieten. Vielmehr sollte eine Aufgabe für alle Lernenden unterschiedliche Bearbeitungsmöglichkeiten gestatten. 

Es geht dabei um kompetenzorientierte Lernarrangements, die der Leistungsvielfalt aller Schülerinnen und Schüler der Klassengemeinschaft gerecht werden. Der jahrgangsübergreifende Unterricht stellt an die Bereitstellung einer ansprechenden Lernumgebung mit lernwirksamen Aufgaben für die Klassengemeinschaft hohe Ansprüche. Gemeint sind damit sowohl die mathematische Lernumgebung (Teil II, Mathematik, Kap. 1) als auch kompetenzorientierte Lernaufgaben im Deutschunterricht. 

Solche mathematischen Lernumgebungen bzw. kompetenzorientierten Lernaufgaben sind u. a. gekennzeichnet durch: 

Im Anschluss an die erarbeiteten Lerninhalte sollten Anknüpfungsmöglichkeiten für weiterführende Lernprozesse genutzt und weitere Aufgaben zum gleichen Thema angeboten werden. Diese Anschlussaufgaben können sowohl der vertieften Auseinandersetzung als auch der Übung und Festigung dienen. Der Fokus liegt bei diesen Aufgaben auf dem Grad der Offenheit und auf dem unterschiedlich hohen Anspruchsniveau von Aufgaben.

Aufgabenformate – Grad der Offenheit

Unter Aufgabenformaten versteht man die Art der Aufgabenstellung und daraus resultierend die der Aufgabenbearbeitung und -beantwortung. Im Allgemeinen unterscheidet man geschlossene, halboffene und offene Aufgabenformate.

Aufgaben, bei denen die Lösungen vorgegeben sind und entsprechend erwartungsgemäß beantwortet werden können, werden als geschlossene Aufgaben bezeichnet. Das Erfassen der richtigen Antwort bzw. Lösung ist eindeutig abgebildet.

Halboffene Aufgaben können zum Beispiel in Form von Ergänzungsaufgaben gestellt werden. Die Antworten können dabei über Schlüsselwörter, Zahlen- bzw. Ergebniswerte, Symbole oder kleine Zeichnungen dargestellt werden, die eine individuelle Lösung zulassen.

Offene Aufgaben sind mit umfangreicheren und selbst formulierten Antworten zu erfüllen. Vielfältige Lösungswege sind möglich und gewollt. Das Formulieren von Begründungen oder das Darstellen von Lösungswegen erfordern dabei einen längeren Bearbeitungszeitraum.

Den Aufgabenformaten werden nachfolgend beispielhaft Aufgabentypen (auch Übungsformate1) zugeordnet.

Aufgabenformate und -typen2:

Anforderungsbereiche

Die Anforderungsbereiche I, II und III sind eine Stufung der kognitiven Leistungsanforderungen von Aufgaben. Im Allgemeinen nehmen Anspruch und kognitive Komplexität von Anforderungsbereich I bis III zu. Die Anforderungsbereiche stellen einen Orientierungsrahmen für das Entwickeln von Aufgaben dar. Die Übergänge zwischen den Anforderungsbereichen sind nicht immer trennscharf.

Den Anforderungsbereichen liegen in den Fächern Mathematik und Deutsch im Primarbereich folgende Beschreibungen zugrunde:

Abb.: Anforderungsbereiche in Mathematik4 und Deutsch5

Diese Eigenschaften sind zunächst unabhängig von einem bestimmten Kompetenzbereich, können aber unter Einbeziehung eines Kompetenzbereiches weiter ausdifferenziert werden.

Grundsätzlich sollten für den Kompetenzerwerb im Unterricht Aufgaben mit Anforderungen aus allen drei Bereichen sachangemessen angeboten und durch entsprechende Formen der Kompetenz- sowie der Leistungsüberprüfung ergänzt werden. Die Auseinandersetzung mit Aufgabenstellungen zu allen drei Anforderungsbereichen ist für alle Schülerinnen und Schüler – unabhängig vom Leistungsvermögen – von zentraler Bedeutung, um erfolgreich und nachhaltig Kompetenzen auf- und auszubauen.

Dabei ist bei einer Zuordnung von Anforderungsbereichen zu Aufgaben unbedingt zu beachten, dass diese in Abhängigkeit vom Unterrichtskontext betrachtet werden muss. Wenn eine Aufgabe in ähnlicher oder exakt derselben Weise im Unterricht behandelt wurde, wäre sie Anforderungsbereich I zuzuordnen. Ist das nicht erfolgt, erfordert die Aufgabenstellung von den Schülerinnen und Schülern ein Übertragen von Gelerntem auf neue Zusammenhänge, also Anforderungsbereich II oder III. Besondere Bedeutung kommt diesen Überlegungen im Rahmen der Erstellung von Klassenarbeiten zu. (Teil I, Kap. 4.2)

Grundsätzlich eignen sich die drei Aufgabenformate in Verbindung mit den Anforderungsbereichen zur Entwicklung differenzierter (Anschluss-)Aufgaben und Übungsaufgaben zu einem Lerninhalt. Es entsteht dabei ein Feld an Aufgaben, welches sowohl an die Anforderungen des jeweiligen Lerninhaltes als auch weitgehend an die unterschiedlichen individuellen Lernvoraussetzungen in der Klassengemeinschaft angepasst ist. Das Lernen für alle Schülerinnen und Schüler wird im gleichen inhaltlichen Kontext gestaltet und gefördert, indem die Aufgaben im geschlossenen Aufgabenformat im Anforderungsbereich I (AB I) in der Regel eher weniger hohe kognitive Leistungen erfordern und die Bearbeitung von Aufgaben im offenen Aufgabenformat im AB III eher kognitiv herausfordernd sind.

Begleitend kann die Reflexion der Schülerin bzw. des Schülers gemeinsam mit der Lehrkraft zur individuellen Aufgabenwahl und -bearbeitung dazu beitragen, sich sicher einschätzen zu lernen. Dieser selbstreflexive Fokus auf den Grad der kognitiven Anforderung einer Aufgabe unterstützt einen gelingenden Lernprozess und sorgt für ein positives Selbstkonzept bei den Schülerinnen und Schülern.

Beispiele für die Verknüpfung von Anforderungsbereichen und Aufgabenformaten
Abb.: Zahlenmauern in Mathematik (nach Arndt/Grajek, 2019)
Teil II, Mathematikunterricht, Kap. 1
Teil III, Grundlagen, Mathematik: Anforderungsbereich und Aufgabenformate, Zahlenmauern
Abb.: Rechenpäckchen in Mathematik (nach Arndt/Grajek, 2019)
Teil II, Mathematikunterricht, Kap. 1
Teil III, Grundlagen, Mathematik: Anforderungsbereiche u. Aufgabenformate, Rechenpäckchen
Abb.: Anschlussaufgaben Klasse 1/2 für den Kompetenzbereich Schreiben (nach: Weidner, 2019)
Teil III, Grundlagen, Deutsch: Anforderungsbereiche und Aufgabenformate, Anschlussaufgaben Schreiben
Abb.: Anschlussaufgaben für den Kompetenzbereich Lesen – Textverständnis (nach: Weidner, 2019)
Teil III, Grundlagen, Deutsch: Anforderungsbereiche und Aufgabenformate, Anschlussaufgaben Lesen/Textverständnis

Das Entwickeln von differenzierten Aufgaben für die Klassengemeinschaft durch die Verknüpfung der Anforderungsbereiche mit den Aufgabenformaten ist einer der möglichen Wege, Aufgaben so zu modifizieren, dass alle Schülerinnen und Schüler im gleichen inhaltlichen Kontext lernen. Darüber hinaus gibt es noch weitere Möglichkeiten Aufgaben zu modifizieren: Ausgehend von der (Basis-)Aufgabe, die aus der Aufgabenstellung und ggf. dazugehörendem Material (z. B. Text, Bilder, Modell) besteht, gibt es Möglichkeiten der Anpassung, die zu einer Erweiterung der Aufgabe im Sinne einer höheren kognitiven Herausforderung führen. Die Anpassung kann aber auch zu einer Vereinfachung der Aufgabe durch Maßnahmen führen, welche die zu erbringende kognitive Leistung unterstützen.5 In der nachfolgenden Übersicht werden Möglichkeiten zur Anpassung von Aufgaben im Sinne der Differenzierung benannt.

Differenzieren durch das Anpassen von Aufgaben
Abb.: Differenzieren durch das Anpassen von Aufgaben (nach Arndt/Grajek, 2019)
Teil III, Grundlagen, Differenzieren durch das Anpassen von Aufgaben

Die nachfolgenden Beispiele zeigen Möglichkeiten für die Anpassung von Aufgaben zum selben Lerninhalt – entsprechend den Anforderungen einer jahrgangsübergreifenden Klassengemeinschaft.

Beispiele für das Anpassen von Aufgaben
Abb.: Rechnen mit Ziffern (nach Arndt/Grajek, 2019)
Teil III, Grundlagen, Mathematik: Differenzierung / Aufgaben, Ziffern
Abb.: Aufgaben zu „Mein Freund der Würfel“ (nach Arndt/Grajek, 2019)
Teil III, Grundlagen, Mathematik: Differenzierung / Aufgaben, Würfel
Abb.: Der Brief als Kommunikationsmittel (nach Weidner, 2019)
Teil III, Grundlagen, Deutsch: Differenzierung / Aufgaben / Thema Brief

Operatoren als Teil der Bildungssprache

Um Aufgaben zum Lernen, Üben oder Überprüfen lösen zu können, müssen Schülerinnen und Schüler die Aufgabenstellungen entschlüsseln und verstehen. Schlüsselwörter sind dabei die Operatoren, die eine Aufforderung zum Handeln sind und deren Bedeutung genau definiert ist. Operatoren fordern auf zu konkreten Tätigkeiten, der Art und Weise der schriftlichen oder mündlichen Darlegung und der Umsetzung eines zugewiesenen Grades der Behandlungstiefe. Damit Schülerinnen und Schüler Aufgaben mit Operatoren selbstständig bearbeiten können, muss ihnen die Bedeutung des Operators sowohl auf kognitiver als auch auf sprachlicher Ebene bekannt sein. Sie müssen: 

Dabei sind Operatoren Teil der Bildungssprache, an die Schülerinnen und Schüler in der Grundschule schrittweise herangeführt werden. Das fachbezogene Lernen und der Gebrauch der Bildungssprache hängen dabei unmittelbar zusammen und müssen erlernt und geübt werden. Bereits im Anfangsunterricht muss, ausgehend von alltagssprachlichen Ausdrucksformen, das schrittweise Verwenden und Verdeutlichen der sprachlichen und kognitiven Ebene von Operatoren zum Unterrichtsgegenstand gemacht werden.6 Dabei sollten die Einführung der Arbeitsanweisungen und deren Umsetzung in allen Fächern erfolgen. 

Neben Aufgabenformaten mit Operatoren haben durchaus auch Aufgaben mit sogenannten W-Fragen vor allem im Grundschulbereich ihre Berechtigung. Diese eignen sich z. B. besonders, um ein rasches Verständnis von Inhalten zu erzielen oder für ergänzende Fragen. In der Verknüpfung der W-Frage mit einer nachfolgenden Handlungsaufforderung (mit Operator) ergibt sich in der Regel eine genaue Arbeitsanweisung zur Bearbeitung einer Aufgabe. Treffende Operatoren machen grundsätzlich Aufgabenstellungen klar, konkret und geben ihnen Struktur. 

Unterschieden werden allgemeine Operatoren für alle Fächer und spezielle Operatoren, die in ausgewählten Fächern zur Anwendung kommen.7 Für die Grundschule in Sachsen gibt es keine Liste mit verbindlichen Operatoren. Um jedoch den Umgang damit bereits in der Grundschule anzubahnen, bieten sich beispielsweise folgende Operatoren an:

Abb.: Allgemeine Operatoren zur Anbahnung der Arbeit in der Grundschule8

Eine umfassendere Darstellung bietet die nachfolgende Zusammenstellung allgemeiner, fachunabhängiger Operatoren. Hier werden die Grundform des Verbs und die geteilte Form des Verbs bei Verwendung in einer Aufgabenstellung dargestellt. Eine solche sprachliche Hilfe unterstützt das (Wieder-)Erkennen und Verstehen der Operatoren. 

Abb.: Allgemeine Operatoren für die Grundschule9

Verbindung von Anforderungsbereichen und Operatoren

Um Hinweise auf die Zuordnung von Aufgabenstellungen zu einzelnen Anforderungsbereichen zu bekommen, können den Anforderungsbereichen Operatoren als grundsätzliche Orientierung zugeordnet werden. So gehört beispielsweise eine Aufgabe mit dem Operator „Nenne …“ zum Anforderungsbereich I (Wiedergeben bzw. Reproduzieren). Nicht immer ist die Zuordnung eines Operators zu einem Anforderungsbereich eindeutig von den anderen Anforderungsbereichen abzugrenzen. Sie gibt jedoch zunächst eine grundsätzliche Orientierung. Wenn kontinuierlich mit Operatoren gearbeitet und deren Bedeutung immer wieder bewusstgemacht wird, kann damit auch für Schülerinnen und Schüler hinsichtlich der Leistungserwartungen an sie ein hohes Maß an Transparenz erreicht werden.

Abb.: Operatoren in den Anforderungsbereichen der Fächer Deutsch und Mathematik in der Primarstufe

Arbeitsanweisungen verstehen – ein Schlüssel zum Lernerfolg

Für den jahrgangsübergreifenden Unterricht und seine meist offenen Organisationsformen ist das selbstständige Verstehen und Erarbeiten von Aufgaben von zentraler Bedeutung. Deshalb sind präzise Arbeitsanweisungen der Schlüssel zum Lernerfolg. Sie sind Voraussetzung für das erfolgreiche Bearbeiten und Lösen einer Aufgabe. Um das Verständnis der Operatoren nachhaltig bei den Schülerinnen und Schülern zu etablieren, müssen Arbeitsanweisungen immer wieder Gesprächsanlass sein. Nachschlagevarianten für die Hand der Schülerinnen und Schüler sind zu empfehlen, wie zum Beispiel Faltbüchlein, Leporello oder Fächer.

1In der Mathematikdidaktik wird statt des Begriffs „Aufgabentyp“ der Begriff „Übungsformat“ verwendet. Daraus leitet sich für Aufgaben im offenen Format der Begriff „substanzielle Übungsformate“ ab.
2Nach: Kultusministerkonferenz (Hrsg.): for.mat Deutsch. Kompetenzentwicklung durch Variation der Aufgabenschwierigkeit, Material M 0.4.2, verfügbar unter: https://www.kmk-format.de/[…]/M_0_4_2.pdf, Stand vom: 17.02.2021. Hier überarbeitet auch für das Fach Mathematik.
3Nach: Bildungsstandards für das Fach Mathematik Primarbereich, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15.10.2004, i.d.F. vom 23.06.2022, S. 9, verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2022/2022_06_23-Bista-Primarbereich-Mathe.pdf, Stand vom: 23.11.2022.
4Nach: Bildungsstandards für das Fach Deutsch Primarbereich, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15.10.2004, i.d.F. vom 23.06.2022, S. 11 f., verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2022/2022_06_23-Bista-Primarbereich-Deutsch.pdf, Stand vom: 23.11.2022.
5Siehe auch: Landesamt für Schule und Bildung (Hrsg.) (2021): Differenzierte Aufgaben. (Tutorial, ca. 6 Minuten), verfügbar unter: https://www.schule.sachsen.de/jahrgangsuebergreifender-unterricht.htm
6Vgl.: Sächsisches Bildungsinstitut (2015): Vom Sachunterricht zum Fachunterricht – Übergänge gestalten. Sächsisches Bildungsinstitut. Radebeul. S. 12., verfügbar unter: https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/25521, Stand vom: 17.02.2021.
7Vgl.: Sächsisches Staatsministerium für Kultus (2008): Verwendung ausgewählter Operatoren in Aufgabenstellungen. Klassenstufe 5 bis 10. Dresden., verfügbar unter: https://schule.sachsen.de/download/operatoren_ms_2008.pdf, Stand vom: 16.02.2021.
8Vgl.: Sächsisches Bildungsinstitut (2015): Vom Sachunterricht zum Fachunterricht – Übergänge gestalten. Sächsisches Bildungsinstitut. Radebeul. S. 13., verfügbar unter: https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/25521, Stand vom: 17.02.2021.
9Nach: Michael Dreke, Sabine Dapper (2015): „Was soll ich hier machen?“ In: Grundschulunterricht Deutsch 04/2015, Oldenburg Verlag, S. 20.