Adresse Telefon Fax Mail Lufbild und Verkehrsanbindung Wettbewerbe Feste Exkursionen Projekte Stundenzeiten Termine Sprechzeiten Kursangebote im laufenden Schuljahr Inhalte und Zeiten im laufenden Schuljahr Termine Termine Vergangene Schuljahre

Foto der Woche

Zum Vergrößern anklicken


Mit Gewalt umgehen

Pressemeldung und Fotos (unter dem Text)
 vom Projekttag der Klassenstufen 8 bis 10 am 11. September 2007

Den Rechten in die Ecke gestellt
(
Lausitzer Rundschau, Mittwoch 12. September 2007, Seite 15)

An Schulen in Schleife und Weißwasser fanden gestern Projekte gegen Gewalt statt

VON THORALF SCHIRMER 

Ganz schön gewagt: Die Agentur „Mensch- aber wie?“ schickt fünf Leute, die unterschiedlicher kaum sein können- Straffällige, Zeugen und Opfer von Straftaten- an Schulen in Sachsen, um über ihre Erfahrungen mit Gewalt zu reden. Verbitterte, verängstigte, verblendete, innerlich verhärtete Menschen treffen auf Jugendliche, die selbst noch nicht fertig sind in ihrer Entwicklung, die das Thema Gewalt aber kennen, oft aus eigener Erfahrung. Wie werden sie sich in der Diskussion positionieren? Das ist die spannende Frage in einem Experiment, das gestern morgen für 120 Acht- bis Zehnklässler der Mittelschule Schleife startete.

Im Saal des Sorbischen Kulturzentrums sitzen sie vorn auf der Bühne: Der Neonazi- verurteilt für den Überfall auf ein Geschäft und dessen asiatischen Inhaber; die „obercoole“ Nadine, die sich am Freitod eines Mädchens, das sie gemobbt hatte, völlig unschuldig fühlt; der Lehrer, dem nach 15 Jahren Schuldienst der Kragen geplatzt ist, so dass er einen Schüler verprügelte; die junge Katrin, die eine Vergewaltigung verhindern wollte, dabei selbst verletzt wurde und deren Rat es heute ist, sich besser nirgendwo einzumischen, und Richard, der dunkelhäutige Rapper, dessen Freund von Neonazis zusammengeschlagen worden ist. Ihm fliegen sofort die meisten Symphatien im Saal zu, weil er einer ist, der sagt, was er denkt und sich nichts mehr gefallen lassen will, dann schon lieber selbst zuschlägt. „Gewalt ist menschlich!“ lautet seine These. Schließlich sei beinahe überall auf der Welt Krieg. „Gewalt macht Spaß“, sagt er auch. „Du schaltest den Fernseher an, und da kommt irgendwas Lustiges mit Gewalt“

Er spricht die Sprache der jungen Leute hier, das merkt man an den Lachern und am zustimmenden Nicken. Klar sehen sie das auch so, dass man einen Kumpel notfalls mit den Fäusten verteidigen muss und dass es auch Gewalt sein kann, wenn einen der Lehrer vor der ganzen Klasse als dummen August dastehen lässt.

Aber auch Lehrer Baumann erntet schließlich Zustimmung; als er erklärt, wie sehr er sich dafür schäme, einen Schüler zusammengeschlagen zu haben, nachdem er es jahrelang geschafft hatte, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Eigentlich sei er doch gern Lehrer gewesen, wollte jungen Leuten den Weg in Leben ebnen helfen, die Schwächeren besonders unterstützen. Und heute? Habe er Angst vor einer Klasse zu stehen- Angst vor verweigertem Respekt und vor Gewalt.

„Bis jetzt habe ich keine Angst.“

Das ist eine Sicht, die bei manchem der Schleifer Mittelschüler offenbar in Verblüffung umschlägt. „Ja, in der Pause haben mich tatsächlich Schüler gefragt, ob ich auch manchmal Angst habe“, bestätigt Christine Paulus, Lehrerin für Englisch und Geschichte an der Schleifer Mittelschule. „Ich habe geantwortet: Nein, bis jetzt habe ich in Schleife noch keine Angst. Aber man weiß ja nie, was noch kommt.“

Dass da latent etwas in manchen jungen Leuten brodelt, das einmal gefährlich werden könnte, meint auch Heike Messner, die Sport und Geografie unterrichtet. Auch hier habe sie deutlich gespürt, wo jene im Saal gesessen haben, die den Parolen des jenes Neonazis, der mit einem Baseballschläger eine asiatische Familie überfallen hatte, innerlich zugestimmt haben. Einmal war da sogar ein ganz verhaltener Applaus gewesen. „Ansonsten aber sagen sie hier gar nichts und halten sich aus der Diskussion raus“, sagt Heike Messner.

„Mein Vater ist Nazi.“

Es kommt der Augenblick, wo sich die Schüler entscheiden sollen, wen von den Fünfen auf der Bühne sie genauer interviewen und später mit einem Fragebogen bewerten wollen. Einer der ersten, die sich für den Neonazi entscheiden, begründet das so: “Ich wollte einfach wissen, ob der wirklich so darüber denkt, weil ich das aus meiner Familie kenne, diese Ansichten. Mein Vater ist Nazi, mein Bruder auch. Man lebt damit irgendwie.“ Eigentlich, gesteht der Junge, der seinen Namen nicht nennen möchte, habe er den Neonazi mit Argumenten unterstützen wollen-  genau wie dessen Mutter sei sein Vater schließlich arbeitslos, während Ausländer, Türken vor allem, immer gleich Arbeit kriegten. Dann aber sei er ja gar nicht zu Wort gekommen.

Tatsächlich ist die Menschentraube um den jungen Nazi schnell angewachsen, während die uneinsichtig vor sich hin zickende Nadine von ihren Interviewpartnern irgendwann einfach stehen gelassen wird. Der Nazi läuft zu Hochform auf, schwingt die Faust, polemisiert beispielsweise, dass es schon einen Unterschied zwischen kriminellen Ausländern und kriminellen Deutschen gebe. Letztere könnten ja immerhin noch ein belehrendes Beispiel für die deutsche Jugend sein. Vor allem aber muss der junge Mann einstecken. Die Schüler weigern sich, alle Ausländer, oder Menschen mit anderer Hautfarbe pauschal ins Abseits zu stellen. Einer rechnet vor, dass es nur fünf Prozent Menschen mit dem Pass eines anderen Landes in Deutschland gebe. Der Nazi gerät unter Beschuss und zieht sich schließlich-verfolgt von Gejohle und Schmährufen- zurück.

Am Ende verliest Tina Romanowski, an ihrer Schule eine ausgebildete Streitschlichterin, das vernichtende Fragebogenurteil für ihn: Null Sympathiepunkte. Ablehnung auf der ganzen Linie.

Mit der Höchstzahl von zehn Punkten wird dagegen Gangstarapper Richard bewertet. Und jetzt, da auch das Geheimnis gelüftet wird, dass hier Schauspieler auf der Bühne saßen und die Agentur „Mensch - aber wie?“ nur eine Erfindung ist, sagt jemand aus dem Saal, er hoffe, dass Richard in Wirklichkeit (da heißt er Andy) auch so denke, wie er es gespielt hat.

Aber da schockiert der Schauspieler Andy Zingsem seine Fans. Klar, sagt er, stecke auch in ihm etwas von Richard, aber in einem sei er völlig anders. Nämlich darin, dass er, der selbst einmal zu einer Gang gehört hat, Gewalt nie mehr als ein Mittel zur Konfliktlösung akzeptieren werde. Und dann konfrontiert er die Jugendlichen mit sich selbst. „Der Richard ist ja eigentlich gewaltbereit. Ich habe Euch hier permanent zu Gewalt aufgerufen und habe festgestellt, dass jede Menge junge, intelligente Leute bereit sind, die Gewalt, die ich anbiete, in Ordnung zu finden.“ Eigentlich aber spiele Richard doch im selben Stadion wie der Neonazi, nur in einem anderen Trikot.

„Ich würde nicht zuschauen.“

Florian Franke (15) aus der 9. Klasse, der sich anfangs schnell auf Richard Seite geschlagen hatte, ist noch nicht so recht überzeugt. „Okay, jeder hat seine eigene Meinung“, sagt er, sympathisiert aber immer noch eher mit Richard als mit Andy. „Der Typ hat mir gefallen, weil ich auch gegen Rechte bin. Ich kann das nicht ab‚ wenn andere Ausländer diskriminieren. Es gibt Schwarze, das sind richtig freundliche Leute. Und ich würde auch nicht dabei stehen und zuschauen, wenn ein Kumpel verprügelt wird.“

Und dennoch: Wie bei Florian scheint auch bei vielen anderen Schülern einiges im Denken in Bewegung geraten zu sein. Auf dem Weg zurück zur Schule haben sie Zeit, das für sich zu ordnen. Dann beginnt eine harte Aufgabe für die Lehrer: Nachbereitung in den Klassen. Was die Schüler zum Thema Gewalt noch bewegt, soll ausdiskutiert werden.

Derweil ist die Theatertruppe schon auf dem Weg nach Weißwasser. Dasselbe Spiel vor einem anderen Publikum. Mit anderen Reaktionen. Aber auch hier- will man hoffen- mit einem schleichend einsetzenden Lernprozess.

 
agt01.JPG
Vorführung der Kampfsportschule Pelk
agt02.JPG
Verteidige dich!
agt03.JPG
Verteidigungsvarianten
agt04.JPG
Verteidige dich selbst!
agt05.JPG
Vorführung der Kampfsportschule Pelk
agt06.JPG
Täter und Opfer stellen sich auf der Bühne im SKC den Schülern vor.
agt07.JPG
Standpunkt beziehen gegenüber dem Neonazi
agt08.JPG
Kontoverse Diskussionen
agt09.JPG
Gewalt erzeugt Gegengewalt
agt10.JPG
Zivilcourage oder wegsehen...
agt11.JPG
Gespräch mit Tätern und Opfern
agt12.JPG
Offene Worte
agt13.JPG
Was bleibt für mich aus den Erfahrungen anderer?

zurück